Die Novellen Lola, Blutrot paspatiert
und Die Späherin
wurden von Dezső Tandori
ins Ungarische übersetzt und erschienen in Világirodalmi folyóirat. Nagy Vilag. Budapest 1992, HU ISSN 0547-1613
Die hier vorliegende Textsammlung erscheint dem Leser wie ein Tagebuch aus einer sehr ungewöhnlichen, vielseitigen, aber auch an Dramatik vollen Kindheit und Jugend eines sich zwischen den Welten und Kulturen bewegenden jungen Menschen, dessen Sprachgewalt ihn das Erlebte verarbeiten lässt, aber beim Leser auch Identifikation schafft und Erinnerungen an eigene Erlebnisse und Erfahrungen wachruft.
Diesmal hatte ich gezögert, diesmal bekam ich die Mutter, die mir zustand, meine. Sie war so jung. Sie war so schön. Und altern tat sie immer nur in den Nächten. Wenn die Fensterläden geschlossen waren, wenn kein Licht sich durch die Ritzen mehr ergoss, wenn im Hause alle schliefen, starb sie allein ihre Jugend, starb sie allein ihre Schönheit, ihre Anmut, ertrank sie in dem Geld, das ihr das Leben nur scheinbar leichter werden ließ. Nachts kroch der Tod zu ihren Füßen, an ihren Sohlen hoch, an ihren Beinen und fraß sich leise in ihr Fleisch. Kein Laut, kein Schrei, niemals war Schmerz in ihren Augen. So vornehm konnte allein nur sie noch sterben, wenn der Krebs ganz langsam auch ihren schönen Körper nahm. So vornehm konnte allein nur sie noch leben, wenn mit dem Licht die Narben gingen, wenn von dem Schmerz nur eines blieb, ein kleiner Stein in ihrem ohnehin schon kleinen Herzen.
...
versuchung lockt
in verbotenen räumen
an dunklen plätzen
zu später stund
die angst vor dem ungewissen peitscht
doch der traum vom erleben ist stark
ein schneller blick
ein leichtes berühren
dann heftig küssen
nicht zärtlich sein
wie schön das beben
wie weit die welt
und nah das fremde
benommene körper aufeinander
schamröte im gesicht
liebe an wintertagen
...
Ich habe mir überlegt, ob ich mir einen Bart wachsen lassen soll, einen Vollbart, überall im Gesicht und lang und weiß. Dann würde ich auf einen Berg gehen, oben auf die Spitze. Ich würde mich auf diese Spitze setzen und nichts mehr essen und nichts mehr sagen, fasten und schweigen. Und dann würde ich zu Stein werden und wäre ein Teil des Berges. Danach käme ein Gewitter und der Blitz würde mich treffen, und der Stein würde von mir abfallen, und ich wäre ein junger Mann. Dann ginge ich von dem Berg hinunter in die Stadt und würde Dich treffen.
Außerdem habe ich mir überlegt, dass Wölfe nicht lauern, sondern aufmerksam sind. Wäre ich ein Wolf, dann würde ich sicher nicht lauern, aber ich wäre sehr aufmerksam. Wölfe scheinen mir kluge Tiere. Wäre ich ein Wolf, so wäre ich klug. Doch ich bin kein Wolf.
Ich habe mir auch überlegt, dass die Bäume alle bald sterben. Und wenn sie dann tot sind, gehen sie ins Meer. Alle toten Bäume gehen wohl ins Meer zu den Algen. Die Algen waren früher einmal auch Bäume und sind dann ins Meer gegangen, weil die Fische sie brauchen, mehr als wir.
Ich könnte mir natürlich auch Flügel wachsen lassen und keinen Bart. Dann würde ich vom Berg hinab fliegen und nicht schweigen und nicht fasten. Der Blitz würde kommen, und er würde mich nicht treffen. Ich würde mir Flügel wachsen lassen und ins Tal fliegen zu Dir. Und Du bekämest meine Flügel, damit wir beide Menschen sind wie Vögel.
Meinungen
„NAGYVILAG“ Zeitschrift für Weltliteratur, Budapest
Die gesammelten Novellen beweisen, Dass Ihr Stil viel reifer geworden ist. Auch ist der Einfluss von Franz Kafka unübersehbar. Und deshalb denke ich, Sie hatten ein sehr schweres Leben und haben es auch heute nicht leicht. Talent zu haben ist eine außerordentliche Angelegenheit und bedingt auch außerordentlich empfindsame Nerven. Und die zu haben, ist keine beneidenswerte Sache. Eigentlich habe ich immer ein gewisses Bedauern für Schriftsteller.
Katalyn Rayman, Rubrik-Leiterin
Es ist faszinierend, dass ein Anfang 20jähriger in diesen Dimensionen zu denken vermag.
Hedda Guhr, Leitende Redakteurin
Der Leser erfährt bemerkenswerte Mitteilungen eines „Grenzgängers“ zwischen den Religionen und Kulturen... Da kommt kein Zweifel an der Authentizität dieses Ereignisses auf!... Es (handelt) sich um erste sehr scharfsichtige und kluge, aber immerhin partielle Einsichten in Lebens- und Kulturzusammenhänge (), die in hohem Maße interessant und zur Lektüre empfohlen sind.
Liberal, Magazin für Politik und Kultur
Heute fing ich mit Ihrem Werktagebuch an und bin schwer beeindruckt von Ihrer Sprachgewalt, Ausdrucksweise und Ihren Empfindungen. Besonders mich mitnehmend Ihre Briefe für Harald Zörner.
Brigitta Geyer, Hamburg
Gratulation, Ihr Werktagebuch hätte doch allein durch den Literaturpapst Reich-Ranicki in den Olymp der Dichtung und Prosa erhoben werden müssen. Ich genieße immer besonders so kurz gefasste Literatur.
August Ohm, Maler, Hamburg
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Die Originalradierung zum Buch von Bernhard G. Lehmann gestaltet. Die zwei Seiten oder Persönlichkeiten von François Maher Presley, hier symbolisiert durch die Buchstaben FMP.