Machen wir uns nichts vor: das weibliche Geschlechtsorgan ist bei den meisten noch immer ein Tabu. Die Künstlerin Giulietta Scheer (33) will dieses Tabu brechen. Sie sieht bei der Beschäftigung mit den weiblichen Geschlechtsorganen immer noch viel Scham und Unsicherheit. Mit ihrer Kunst will sie genau das ändern und sagt: Lasst uns lernen, unsere Körper so zu lieben wie sie sind! Wer auf Entdeckungsreise gehen will, kann sich die Bilder und Kunstobjekte ab 27. August in der FMP-Galerie in der Schloßstraße 23 in Waldheim ansehen. Eröffnet wird die Ausstellung mit einer Vernissage um 17.30 Uhr. Sächsische.de hat die Künstlerin gesprochen.
Sächsische Zeitung: Der Penis war in der Kunst schon immer zu sehen. Die Vagina dagegen blieb lange verhüllt oder stilisiert. Viva La Vulva!, der Titel Ihrer Ausstellung. Was werden wir zu sehen bekommen?
Giulietta Scheer:
Der Titel meiner Ausstellung heißt genau Viva la Vulva 3.0, da es die dritte Ausstellung mit diesem Namen ist. Die Vulva bezeichnet alle sichtbaren Teile wie die inneren und äußeren Vulvalippen (Schamlippen) und die Eichel der Klitoris (Kitzler). Die Vagina ist hingegen der innenliegende Schlauch, der zum Uterus führt. Meine Ausstellung schlägt eine positive Vision der Vulva vor und fordert auf, über den eigenen Körper und insbesondere unsere Vulva nachzudenken. Tabus sollen gebrochen werden und die Vielfalt der Vulven wird mit verschiedenen Techniken und Materialien (u.a. Streetart, Collage, Aquarell, Gipsabdrücke) künstlerisch dargestellt.
Was hat Sie bewogen, ausgerechnet die Vulva zu thematisieren? Hat es dafür ein auslösendes Moment gegeben, was ist Ihre Geschichte hinter dem Thema?
2017 unternahm ich mit meiner Frau, die auch künstlerisch tätig ist, eine Europatour in einem Camper. Auf unserer Reise begegneten wir auf der „Documenta“ in Kassel den Künstler Jens Galschiot, bei dem wir in Dänemark vier Monate als Freiwillige arbeiteten und das Vulva-Projekt ins Leben riefen. Jens Galschiot fragte uns, ob wir bei einem „Pussyprojekt“ mitmachen wollen. Wir willigten ein und beschäftigten uns intensiv mit dem Thema Vulva. Bei unserer Recherche fanden wir interessante Artikel, Dokumentationen und Kunstprojekte. Viele Frauen haben Probleme mit ihrem Selbstwertgefühl, weil sie keine angemessenen Informationen erhalten und sich nicht frei darüber äußern können, was die Vulva ist und bedeutet. Meiner Meinung nach hat das etwas mit einer überholten Moral und damit mit dem Mangel an Informationen, Vorurteilen, fehlender Aufklärung und zudem fragwürdigen Schönheitsidealen zu tun. Jedes Jahr nimmt die Labioplastik (plastische Chirurgie zur Verkleinerung der Vulvalippen alias Schamlippen) zu. Darum ist es mir wichtig, mehr Vulven und deren Variationsbreite zu zeigen, denn jede Vulva ist wie ein Fingerabdruck, einzigartig und wundervoll. In Dänemark entstanden abstrakte Wachsskulpturen, Kupfer und Bronze Vulven sowie eine Schmuckserie.
Kunst kann eine Brücke schlagen und die Mauer der Scham und Unsicherheit überwinden und Menschen auf eine andere Art und Weise an das Thema heranführen.
Welche Botschaft steckt in Ihrer Kunst?
Ich möchte mit dem, was ich tue bewirken, dass Menschen sich mehr mit der Vulva auseinander setzen. Lasst uns ins Gespräch kommen, lasst uns lernen, unsere Körper zu akzeptieren und zu lieben, so wie sie wirklich sind. Es lebe die Vulva! Jungen Mädchen und Frauen zeigen, dass sie normal sind! Die Unterdrückung der Vulva ist gleichzeitig eine Unterdrückung der Weiblichkeit. Das Thema Vulva ist politisch und soll gleichzeitig auch auf die noch stetige Unterdrückung der Frau hinweisen.
Wie ist die Reaktion auf Ihre Bilder und Skulpturen? Was sagen die Betrachter?
Ich habe bis jetzt sehr positives Feedback bekommen, auch von älteren Menschen, die zuerst dachten, es handle sich um Blumen. Die BetrachterInnen sind begeistert, überrascht, manchmal tauchen die Fragen auf, ob es wirklich so aussehe, vor allem bei den Wachsskulpturen. Hierbei handelt es sich um abstrakte aus der Fantasie entsprungene Objekte, die einerseits an die Vulva erinnern, andererseits etwas Organisches, Mystisches und auch Futuristisches darstellen. Vor allem die anschließenden Gespräche, die sich durch das Betrachten der Bilder entwickeln, sind wertvoll, stärkend und auch oft aufklärend.
Nach der Betrachtung kann auch Ablehnung folgen. Was sagen Sie Menschen, die Ihr Kunstthema ablehnen?
Diese Leute gibt es natürlich auch. Mit ihnen bin ich ins Gespräch gekommen. Ich dränge das Thema niemanden auf. Jeder der möchte, kann sich selbst ein Bild machen. Es geht hier nicht um Obszönität, vielmehr darum, einen Raum für Auseinandersetzungen zu bieten. Denn trotz der – gerade online – verfügbaren Bilder von Vulven, gibt es nach wie vor viel zu tun, um die Vulva in unserer Gesellschaft sichtbarer zu machen.
Giulietta Scheer hat vier Jahre in den Niederlanden in Leeuwarden Kunsttherapie studiert. Sie sagt: „Kunsttherapie zu studieren gehört zu den besten Entscheidungen meines Lebens“. Für sie war es eine Art Selbststudium, in dem sie viel über sich selbst gelernt hat und vor allem auch darüber, wie Kunsttherapie als Werkzeug eingesetzt werden kann, um Emotionen und Gefühle zu erkennen, zu verstehen und dadurch wieder mehr in Kontakt mit sich selbst zu kommen.