von Judita Habermann
Der deutsch-syrische Autor François Maher Presley gehört aus meiner Sicht zu den interessantesten Vertretern der zeitgenössischen deutschen Literatur. Das ist selbstverständlich eine reine Geschmacksache. Auch gebe ich zu, dass nicht alles, was Presley schreibt, mir in derselben Weise nahegeht. Aber wäre das nicht ein allzu großes Wunder bei einem Autor, von dem allein die deutsche Bibliothek mehr als fünfzig Buchveröffentlichungen verzeichnet? Sachbücher, Romane und Reiseberichte hat er geschrieben, dazu kommen Kulturkritik und Biografien sowie zahlreiche Fotobände, – ein stattliches Werk für einen Autor, der – wie man so schön sagt – in seinen besten Jahren steht, weshalb noch manches von ihm erwartet werden darf.
Die verplante Menschheit
Presleys 2018 erschienenes Buch Gedanken zum Strand. Eine mallorquinische Erzählung empfehle ich jedem, der eine erfrischend neue Art deutscher Romanliteratur lesen möchte. Ein ungewöhnlicher Verlauf, den ich als Anti-Handlung bezeichnen möchte, liefert hier die Basis für tiefe philosophische Reflexionen. In unseren Tagen aktuell, weil leider immer akut, ist in diesem Buch ein in der Konsequenz beängstigender Gedanke: Wir werden zum Planen erzogen, „verbringen die Hälfte unseres Wachzustandes damit, einen Plan aufzustellen und die andere Hälfte damit, diesen Plan zu erfüllen. Und wir schauen nicht links und rechts und sind nicht einmal überrascht, wenn es von allen Seiten und zu jeder Zeit zu Störungen in diesem geplanten Ablauf kommt, die erst einmal überraschend scheinen, aber dann, bei genauerem Hinsehen, eben nicht überraschend gekommen sind, sondern auch geplant wurden. Dies allerdings von denen, die uns das Planen anerzogen haben.“ (S. 154) Eine Bevölkerung, die einem Plan folgt, so Presley, sei „erträglicher, weil berechenbarer“ als eine solche, die nachdenkt und sich von Impulsen aus Kultur und Kunst leiten lässt.
Unsegen der Norm
Dass wir allzu oft andere für uns denken, Vorkehrungen treffen und Regeln setzen lassen, hat François Maher Presley an weiteren Stellen seines Werks eindrucksvoll zum Thema gemacht, zum Beispiel in dem von Birgit Zotz herausgegebenen Buch Ein Weitgereister kehrt zurück. Wege der Asche Anagarika Govindas. Darin findet sich Presleys Beitrag „Der steinige Weg der Heimkehr“, in dem der Autor auf ironische – oder nennt man es besser auf bitter-satirische – Weise institutionelle und lokalpolitische Hürden beschreibt, die im Vorfeld und nach der Beisetzung von Asche Lama Govindas auf dem Friedhof von dessen Geburtsort Waldheim aufgerichtet wurden.
Presley wäre nicht Presley, würde er die unfreiwillige Komik der Bürokratie einer sächsischen Kleinstadt nicht in einem tiefen, tragik-komischen Zusammenhang reflektieren. Er sieht sie als Ausdruck des Planungs- und Vorschriftenwesens, das er prototypisch in der „Deutschen Industrie Norm“ (DIN) verkörpert erkennt. Aus dem Maschinenbau, in dem jede Schraube in die vorgesehene Mutter zu passen hat, verbreitete sich die DIN in alle Bereiche des Lebens in Deutschland und weit darüber hinaus: „Einer Krake gleich umschlang sie mit ihren Armen alle nur erdenklichen Lebensbereiche und zuletzt war den ihr folgenden Menschen nicht mehr recht klar, war erst die Lutherbibel oder die DIN, kam die DIN vor der Erschaffung des Menschen und gleich im Anschluss an das Entstehen der Welt, und agierte sie selbstständig oder von einer unsichtbaren Hand eines Schöpfers geführt, dessen Gedanken so in Reih und Glied umgesetzt wurden und Verbreitung fanden.“ (S. 68)
Mensch und Maschine
François Maher Presley bestätigt hier mit dem ihm eigenen schwarzen Humor, was Anagarika Govinda im Vorwort seines Buchs Der Weg der weißen Wolken (1968) als Kennzeichen unsere Epoche feststellte: Wir befinden uns in einem „Kampf zwischen Mensch und Maschine, geistiger Freiheit und materieller Macht, der Weisheit des Herzens und dem intellektuellen Wissen des Hirns, zwischen der Würde des menschlichen Individuums und dem Herdeninstinkt der Masse.“ Vielleicht haben wir als Einzelne wenig Einfluss darauf, wie dieser Kampf ausgehen wird. Aber alles scheint mir darauf anzukommen, auf welche Seite wir uns stellen.